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  • Franziska

Interview mit "Iron Flame" Übersetzerin Michelle Gyo

Um Fourth Wing und Iron Flame ist man in den vergangenen Monaten wohl nicht drumherum gekommen. Der Auftakt von Rebecca Yarros Fantasy-Reihe hat den Buchmarkt und allen voran BookTok umgekrempelt, könnte man sagen.

Darum freue ich mich besonders, dass ich einer der beiden Übersetzerinnen vom zweiten Teil - Michelle Gyo - meine Fragen stellen durfte. Sowohl aus Sicht einer Übersetzungsstudentin als auch aus Sicht einer Bloggerin.


Michaela Kolodziejcok hat bereits Band 1 Fourth Wing übersetzt, für Band 2 kam dann Michelle Gyo mit ins Übersetzerinnen-Boot. Wieso und wie das ganze aussieht, erfahrt ihr im Interview.

 

 

Franzi: Wie bist du zum Übersetzen gekommen und was findest du so toll daran?


Michelle: Schon als Kind war ich ein Buchmensch, laut meiner Mutter habe ich jedem, der uns besucht hat, ein Märchenbuch in die Hand gedrückt (das praktisch größer war als ich, hihi), damit ich vorgelesen bekomme, als ich noch nicht selbst lesen konnte. Und dann konnte ich bald selbst lesen und habe weiterhin Bücher verschlungen: Märchen, Lustige Taschenbücher, Asterix, Ponygeschichten, Der Hobbit – und damit ging es dann erst richtig los. Als es an die Wahl eines Studiums ging, war mir schnell klar, dass ich Germanistik studieren wollte – „aber bloß nicht auf Lehramt, die armen Kinder!“ ^^ -, allerdings habe ich mich noch mal vom Weg abbringen lassen von denen, die meinten, Germanistik mit Abschluss Magister wäre absolut brotlos, und habe deshalb ein Semester lang mit Biologie angefangen … Fast forward einige Jahre und ich studierte Germanistik und Buchwissenschaften in Mainz und war super happy damit. Und als ich dann noch den Kurs „Lektoren in die Fresse“ bei Dr. Rainer Weiß von Suhrkamp belegen konnte, habe ich mich heftig ins Lektorat in einem Buchverlag verliebt. Nach einigen Stationen, unter anderem bei Suhrkamp, Hanser, landete ich im Lektorat bei Piper Fantasy – mein absoluter Traumjob! – und einige Jahre darauf bei Random House – ebenfalls als Spezialistin für Phantastik –, wo ich als Lektorin großartige Bücher betreuen durfte. Nach knapp zehn Jahren Verlag und München stand mir aber der Sinn nach Neuem, ich wollte gern weg aus der Großstadt, und da es im Raum Frankfurt nicht allzu viele Verlage gibt, für die mein Profil passt, informierte ich mich eingehend über eine Selbstständigkeit als Lektorin und „vielleicht auch Übersetzerin“, wie ich mir damals noch dachte. Mit meiner ersten Übersetzung beauftragte mich Heyne 2016, dann folgte rasch Das Lied der Krähen von Leigh Bardugo, und da mein Ton und meine Arbeit gut ankamen, trudelten immer mehr Anfragen für Übersetzungen bei mir ein, die ich begeistert annahm, und so nach und nach verlagerte sich meine Arbeit und heute übersetze ich fast ausschließlich – rückblickend also beste Entscheidung ever 😊. Ich liebe es, mich jeden Tag mit fantastischen Texten zu beschäftigen, die richtigen Worte zu finden, um sie ins Deutsche zu übertragen und so auch für die lesbar zu machen, die vielleicht (noch) nicht fit genug sind im Englischen oder die auch einfach gern auf Deutsch lesen. Jeden Tag mit meiner Kaffeetasse und dem Kater an den Schreibtisch zu gehen, mich hinzusetzen, Dokument auf und mich dann in die Welt, die ich gerade übersetze, zu vertiefen, ist einfach toll, dafür brenne ich total. Und das Beste kommt dann einige Monate nach Abgabe: Die Bücherkiste mit Belegexemplaren, das Buch zum ersten Mal in den Händen halten zu können – unschlagbar.


Franzi: Als du erfahren hast, dass du Iron Flame mitübersetzen darfst, was hast du dir da als Erstes gedacht?


Michelle: Ich glaube, das muss so was wie „Oh, wow!“ gewesen sein, hihi. Direkt gefolgt von „OMG, klappt das rein sprachlich mit Michaela und mir? Wir kannten uns damals noch nicht und es ist ja superwichtig, dass man einen kompatiblen Ton trifft, auch wenn im Lektoratsprozess am Ende noch mal über den Text gegangen und angepasst wird. Da hat mich Julia (Lektorat dtv) allerdings schnell beruhigen können, weil wir es bei der Katmere Academy Reihe von Tracy Wolff schon ähnlich machen mussten, bei der ich auch mit Band 2 anfing.


Franzi:     Wie lange habt ihr an der Übersetzung gesessen? Wann habt ihr das Manuskript erhalten? Wie viel Zeit hattet ihr zum Übersetzen? Wie habt ihr den zu übersetzenden Text aufgeteilt?


Michelle: Wir hatten insgesamt etwa sechs Wochen Zeit für die Übersetzung, was für so einen langen Text ziemlich knapp ist, deshalb auch die Überlegung, eine zweite Übersetzerin dazuzuholen. Michaela und ich haben am Anfang telefoniert und besprochen, wie es am meisten Sinn ergibt für uns beide und sind dann aus praktischen Gründen bei „Ich mach den ersten Teil, du den zweiten“ gelandet, das hat super funktioniert. Es gab ein Dokument mit Begriffsdefinitionen, auf das wir beide zugreifen konnten, aber ansonsten konnten wir relativ unabhängig voneinander arbeiten, was wichtig ist, wenn es darum geht, möglichst schnell zu übersetzen. Natürlich spricht man sich immer ab, nur eben nicht täglich, sondern in längeren Abständen, sodass man sich nicht so häufig aus dem Flow reißen muss. Genauso lief auch die Arbeit im Außenlektorat, bei dem die Außenlektorin das Projekt redaktionell zusammengeführt hat, unabhängig voneinander, um den Prozess zu beschleunigen.


Franzi: Gab es Szenen, die schwerer zu übersetzen waren? (Spoilerwarnung)


Michelle: Ganz banal: Für mich nicht, zumindest nicht, was das Übersetzen angeht. Schwieriger sind für mich Szenen, in denen es sehr emotional wird (und da ich hier wirklich niemanden spoilern möchte, ein anderes Beispiel: Hat jemand gelesen, wie Matthias im Lied der Krähen von Leigh Bardugo die Wölfe umbringen muss? Die Stelle habe ich weinend übersetzt … sterbende Tiere – damit kriegt man mich klein ^^).


Franzi: Hat die Tatsache, dass Fourth Wing einen so großen Hype erfahren hat, den Übersetzungsprozess oder deine Einstellung dem gegenüber in irgendeiner Weise beeinflusst?


Michelle: Tatsächlich nein. Ich arbeite ja bereits an sehr erfolgreichen Projekten und mir geht es im Grunde immer „nur“ darum, den Text bestmöglich lesbar zu machen im Deutschen. Der Stress kommt eher von den knappen Deadlines, die sind natürlich anstrengend, aber rein für die Arbeit ändert das nichts für mich.


Franzi: Was wünscht du dir für die Arbeit des Übersetzens von der Buchbranche? Und was von den Leserinnen und Lesern?


Michelle: Eine bessere Bezahlung wäre schön für unsere Arbeit, weil je nach Schwierigkeit des Texts schon Luft nach oben wäre. Und öfter einbezogen zu werden in den Ablauf (was bei dtv ganz hervorragend funktioniert!). Manchmal verschieben sich Abgaben von Originalmanuskripten, was meine Arbeit natürlich direkt betrifft, weil ich dann Projekte herumschieben muss, um trotzdem noch alles zu schaffen, was bei mir auf dem Tisch liegt. Sagt der Verlag sofort Bescheid, kann man besser reagieren, als wenn es irgendwann heißt: Ach, kommt erst dann und dann. Bei den Lesenden wünsche ich mir eindeutig etwas Empathie für den Menschen hinter der Übersetzung. Wenn ich Rezis lese, fällt mir oft auf: wenn jemandem das Buch nicht gefiel, war es die Übersetzung, wenn einem das Buch aber gefallen hat, war es selbstverständlich der Originalautor/die Originalautorin. Und auf Social Media über eine Übersetzung herzuziehen ist auch unschön. Wir denken uns etwas beim Übersetzen, wir entscheiden uns für bestimmte Worte, aber auch gegen bestimmte Worte, damit der Text so klingt, wie er am Ende dasteht. Da Lesen aber sehr individuell ist, kann es sein, dass ihr einen anderen Begriff gewählt hättet – völlig in Ordnung, aber deshalb die Übersetzung mies zu machen kann einen wirklich treffen, wenn man dann random getaggt wird und das eines Samstagmorgens im Bett entdeckt (alles schon gehabt). Plus: Wir haben größtenteils ordentlich Zeitdruck, gegen den wir wenig ausrichten können, alles nur, damit ihr die Bücher schnell lesen könnt – klar bleiben da auch mal Tippfehler oder Wortdreher stehen, die nicht da sein sollten. Aber wir (auch alle im Verlag) sind eben keine Maschinen, hängen uns extrem rein, stehen hinter den Projekten und wollen, dass sie am Ende bestmöglich im Regal stehen. Wenn ihr das im Hinterkopf behaltet bei Rezis, wäre das toll.


Franzi: Wie viele Projekte hast du bisher übersetzt und welches ist dein Liebstes und welches war das Anspruchsvollste?


Michelle: Der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, wo alle in Deutschland erschienenen Bücher meines Wissens verzeichnet sind, sagt, es sind aktuell 49 Bücher – wobei mir gleich auffällt, dass zum Beispiel auch Von Flusshexen und Meerjungfrauen vom Drachenmond Verlag aufgeführt wird, zu denen ich eine Kurzgeschichte beigesteuert habe, genau wie die Dunklen Ziffern von Edition Roter Drache … Also wohl eher 47 Übersetzungen 😊. Und da das alles auf eine Art meine „Kinder“ sind, kann ich gar nicht sagen, was ich am liebsten mag! Ich meine, Iron Flame hat Drachen, die Katmere Academy Chroniken Vampire und Gargoyles, die Welt von Ketterdam und die Krähen sind einfach fantastisch, mit Alex Verus durch London zu streifen – um jetzt nur mal einige der Projekte zu nennen –, da kann ich mich absolut nicht entscheiden! Und anspruchsvoll ist ebenfalls jedes Projekt auf seine eigene Art. Am schönsten ist es einfach, wenn man nach einigen Seiten (das können gern mal 50 sein …) in den Text gefunden hat und ich dann sozusagen im Kopf höre, wie der Satz auf Deutsch lauten soll.


Franzi: Versetzt du/ihr dich/euch in die Charaktere, während ihr übersetzt (so, wie es die Autoren beim Schreiben machen)? Und wenn ja, welcher Charakter war hier am schwierigsten zu schreiben/umzusetzen/zu übersetzen?


Michelle: Das mache ich gar nicht. Ich lebe/leide/liebe zwar schon mit den Charakteren mit, aber wenn ich übersetze, stehen sie ja schon auf der Seite und ich überlege nicht, wie sie sich jetzt fühlen müssen.


Franzi: Welchen Tipp würdest du an angehende Übersetzer mit auf den Weg geben?


Michelle: Lest. Und hört zu. Das ist meiner Meinung nach genau wie bei Autor*innen. Baut euch Sprachgefühl auf, damit ihr beim Lesen wisst, wie es auf Deutsch klingen sollte. Und bleibt dran, es kann schwierig sein, in dem Beruf Fuß zu fassen, aber es lohnt sich 😊.



Danke, liebe Michelle, für deine wunderbaren und aufschlussreichen Antworten!

 

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